Angekommen im Startup-Olymp

Lisa-Marie Fassl, Startup-Beauftragte Österreichs, und Gerhard Hirczi, Geschäftsführer der Wirtschaftsagentur Wien, im Interview zu Wirtschaft, Startups, Wien und ViennaUP’21.
Herr Hirczi, hat Wien ein Startup-Festival wie ViennaUP’21 gebraucht – mitten im Lockdown? War es ein Erfolg?
Bis dato ist ViennaUP’21 digital das größte Startup-Event in Europa, das in diesem Jahr realisiert wurde. Ich glaube, da kann man schon sagen: Es war ein voller Erfolg! Wir haben zehn Millionen Menschen weltweit erreicht, es gab 25.000 Teilnahmen aus 60 Ländern und 100 Online-Veranstaltungen. Von einem Event dieser Größenordnung hat der Wirtschaftsstandort Wien selbstverständlich profitiert: Mit diesem Signal mitten aus dem Lockdown während einer Pandemie haben wir international gezeigt, wie stark Wien in Sachen Wirtschaft, Innovation und Startups aufgestellt ist. Welche wertvollen Geschäftsideen aus den über 5.000 One-to-one-Meetings entspringen, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Ich bin jedenfalls froh, dass wir uns als Standortagentur da „drübergetraut“ haben. Und zehn Millionen Mal mit Innovation und Technologie in Zusammenhang gebracht zu werden – das kann jede Stadt brauchen.
Frau Fassl, was ist Ihr Resümee als neue Startup-Beauftragte für Österreich und Programmpartnerin des Events?
Die ViennaUP'21 hat viel Aufmerksamkeit erzeugt. Internationale Akteure und Akteurinnen wurden auf Wien aufmerksam, wir haben gezeigt, dass Wien in der Startup-Welt eine relevante Rolle spielt. Das Event hat auch innerhalb Österreichs den Blick auf Startups gelenkt und Bewusstsein geschaffen: Hier geht es um eine Branche mit enormem Potenzial! Für uns als Female Founders war die ViennaUP'21 eine tolle Möglichkeit, ein neues Eventformat auszutesten. Durch die digitale Umsetzung konnten wir Gründerinnen und Investorinnen aus ganz Europa verbinden. Auch wenn ich es schade gefunden habe, dass wir die Teilnehmerinnen nicht persönlich in Wien begrüßen konnten, war der Schritt, die Veranstaltung jetzt durchzuziehen, absolut wichtig. Wir haben uns nicht von Krisen abschrecken lassen. Die Stadt Wien hat damit eine sehr mutige Entscheidung getroffen und das Beste aus den Rahmenbedingungen herausgeholt.
Wien spielt bereits in der Oberliga internationaler Startup-Städte. Was ist nötig, damit Österreich ein Faktor auf der globalen Start up-Landkarte wird?
Fassl: In kleineren Ländern sind es meistens Städte oder eng verbundene Regionen, die sich als Startup-Hotspots etablieren, weil sich dort entsprechend Talent, Kapital und internationale Einflüsse treffen. Daher ist es nur logisch, dass sich Wien innerhalb Österreichs als Hub für Startups entwickelt hat. Was ich in Österreich für möglich und sehr wünschenswert halte: Jedes Bundesland hat wirtschaftspolitische oder forschungsspezifische Schwerpunkte, die sehr gut mit der Innovationskraft der etablierten Unternehmen als auch der Startups vereinbar sind. Diese sollten gezielt priorisiert, finanziert und verfolgt werden - von Akzentsetzungen an Universitäten bis zu gezielten Förderinstrumenten.
Förderungen – Manche sehen sie als Treiber für Innovation, andere als innovationshemmend, weil sie „abhängig“ und „bequem“ machen. Wie sehen Sie das?
Hirczi: Förderungen, die die Wirtschaftsagentur Wien vergibt, sollen Dynamik und Aktivität auslösen. Was wir keinesfalls wollen, ist bequem zu sein oder das Sahnehäubchen für ein Projekt. Wir sehen uns daher die Projekte vorab sehr genau an und überprüfen deren Realisierung! Schließlich arbeiten wir mit öffentlichem Geld und müssen damit verantwortungsvoll umgehen. Wir setzen Förderungen so ein, dass im Idealfall am Ende mehr herauskommt, als eingesetzt wurde – indem investiert wird und neue Arbeitsplätze entstehen. Egal ob sich unsere Förderprogramme an große Unternehmen, KMU oder Startups richten – sie haben immer eine durchdachte, inhaltliche Schwerpunktsetzung. Denn nicht das Unternehmen wird gefördert, sondern die Umsetzung eines Projekts! Daher helfen wir im Bereich der Startups nicht nur mit Förderungen, sondern mit einem Full-Service-Package: von Beratungen über Workshops bis zu weiterführenden Coachings. Und wir vernetzen die Startups mit traditionellen Unternehmen oder Universitätseinrichtungen.
Fassl: Ohne Förderungen würde es viele erfolgreiche Startups nicht geben. Noch vor wenigen Jahren gab es in Österreich keine Alternative zu öffentlichen Mitteln. Auch während der Coronakrise war die öffentliche Hand über den COVID Startup-Hilfsfonds oder die Garantieinstrumente eine zentrale Liquiditätsquelle. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, die aktuelle Förderlandschaft auch kritisch zu evaluieren. Es geht nicht darum, Mittel zu kürzen, sondern darum, diese sinnvoll zu verteilen. Dabei sollen vor allem zwei Fragen im Vordergrund stehen: Was ist das wirtschafts- und gesellschaftspolitische Interesse? In welchen Bereichen gibt es ein Marktversagen, das eine öffentliche Unterstützung rechtfertigt? Zwei offensichtliche Bereiche sind Deep Tech, wo das Risiko so hoch ist, dass in frühen Phasen kaum private Kapitalgeberinnen investieren, und Social Businesses, die noch zu wenig Interesse von Investoren generieren.
Profitiert auch der Standort Wien von seiner Startup-Szene oder ist das nur ein teures Hobby?
Hirczi: Als Wirtschaftsstandort profitiert Wien eindeutig von jungen Unternehmerinnen und Innovatoren. Sie sind ein wichtiger Antriebsfaktor für Innovationsprozesse, neue Ideen und Gründungsgeist – gleichzeitig schaffen sie Arbeitsplätze der Zukunft. Wir regen bewusst den Austausch und die übergreifende Kooperation zwischen traditionellen Wiener Unternehmen, jungen Startups und globalen Playern an. Sie sollen sich vernetzen und gemeinsam neue Aspekte entwickeln, um die Stadt wirtschaftlich zu beleben und weiterzubringen. Damit schaffen wir den Nährboden, um Wien langfristig als bevorzugten, lebendigen Standort zu positionieren. Zum Thema teures Hobby: Wenn das bedeutet, etwas gern zu machen – ja! Wenn es bloße Liebhaberei bedeutet – nein! In Wien hat sich in den letzten Jahren ein umfassendes Startup-Ökosystem aufgebaut. Namhafte Akteurinnen und Akteure haben diese Entwicklung vorangetrieben und wesentlich zur Professionalisierung der Szene beigetragen und Wien so zu einem Rising Star in der europäischen Startup-Landschaft gemacht.
Das fehlende Wachstumskapital wird immer wieder thematisiert. Jetzt zeichnet sich ab, dass 2020 und 2021 Rekorde bei Startup-Finanzierungen bringen. War das Jammern berechtigt oder fehlten bisher nur die guten Projekte?
Fassl: Der COVID Startup-Hilfsfonds hat 2020 zu einem deutlichen Anstieg an erfolgreichen Finanzierungsrunden geführt und Millionen an privatem Kapital mobilisiert – was wiederum zeigt, wie erfolgreich derartige Instrumente sind, und beweist, dass die langjährigen Argumente aus der Szene für die Einführung von solchen Incentives mehr als berechtigt sind. Gleichzeitig hat die Pandemie dazu geführt, dass sich die Digitalisierung viel schneller ausgebreitet hat – und Tech-Startups in vielen Fällen zu den absoluten Krisengewinnern gehören. Entsprechend kompetitiv wurde die Situation aufseiten der Kapitalgeberinnen, die keinen spannenden Deal verpassen wollen. Gute Projekte hat es definitiv immer gegeben, aber jetzt ist eindeutig mehr Geld im Markt.
Interview im Magazin GEWINN (PDF)
30.6.2021